/me

2004-03-16 11:15:48 (UTC)

done + vorwort

ich habe es getan. ich, moi, habe das manuskript
abgeschickt, war bei psydoc und habe neue pillen (eine
packung „Clown zum Abend“ und eine packung „keine angst
vorm schwarzen Mann“, sprich, DOXEPIN und TAVOR. und ich
habe eine ein-cent-münze gefunden.
hier nun das vorwort wie es im buche steht (oder auch
nicht, vielleicht lehnt der verlag das ja ab):
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Das Vorwort
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Wenn ich sagen müßte, wann diese Geschichte begann, würde
ich sie auf die Jahre 1996 oder 1997 datieren, auf die
Zeit, da meine spätere Gefährtin und ich uns
kennenlernten.
Geboren wurde ich 19... , das steht so in meinem Ausweis.
19... oder .. wohnte ich in [name]., dort absolvierte ich
eine Ausbildung zum Krankenpfleger und hatte absolut nichts
zu verlieren, denn es gab nichts, wofür ich leben konnte.
Ich würde mich sogar zu der Aussage versteigen, daß mein
Leben damals begann, als ich hoffte es würde enden.
In diesem Buch geht es um gestörte Beziehungen. Zu sich
selbst, zur Umwelt, zum Partner (oder Gefährten).
Um ein Leben fast ohne Mitte.
(Keine Angst, du mußt, um es zu lesen weder dicke
Wollsocken tragen, noch gewaltfreies Müsli essen oder
koffeinfreien Kamillentee trinken. Du brauchst auch kein
Mitglied in einer Männergruppe sein. Das alles kannst du
natürlich trotzdem tun, es steht dir frei. Du kannst dich
zusammen mit dem Buch und einem Glas, einer Flasche,
Rotwein bequem irgendwo ablegen oder mit einer Tasse, einer
Kanne Kaffee, dich irgendwohin setzen. Wenn du magst. Du
mußt aber nicht. Der Mensch ist zur Freiheit verdammt
[Sartre]. Und damit zur vorübergehenden
Orientierungslosigkeit [ich].
Du kannst das gesamte Vorwort überblättern. Ich mach das
oft, denn der Text erschließt in 9 von 10 Fällen ebensogut
ohne die Einleitung.)

Vielleicht hätte es mich oder dieses Buch zumindest, nicht
gegeben, wenn mein Vater irgendwann in seiner Jugend das
erste Glas nicht angerührt hätte. Das raten die
Trinkervereinigungen doch immer. Sie sagen „Du brauchst
nicht auf den gesamten Alk zu verzichten, Du mußt nur das
erste Glas stehen lassen.“ oder so ähnlich. Dazu später
mehr. Vielleicht war der politische Umsturz vom 1990
auslösend oder ursächlich. Ich bin nämlich in der DDR
aufgewachsen (nicht in der ehemaligen, denn als ich im
Wachstum begriffen war und mein Fleisch der Sonne
entgegenstrebte, gab es die DDR noch). In der DDR waren mir
die möglichen Lebenswege, wenigstens im Groben, so bekannt,
wie sie den in der BRD (auch der ehemaligen)
Heranwachsenden für die BRD bekannt sind. Die muß ich jetzt
noch lernen. Nein, ich bin kein Ostalgiker. Ich meine nur,
von einem Tag auf den anderen in einem fremden
Sozialsystem, Wirtschaftssystem, Gesellschaftssystem
zurechtkommen zu müssen, ist etwa so, wie in der Nacht über
dem Regenwald abgeworfen zu werden. Es ist möglich, zu
überleben, und es ist schwierig. Das Überleben in fremder
Umgebung bringt naturgemäß Spannungen mit sich die der Homo
Allensbachensis wohl in Bier ertränkt oder in Cognac oder
sowas. Ich schneide meine Arme auf. Natürlich reagiere ich
auch normal indem ich mich betrinke, oder Medikamente
überdosiere oder hungere, mich überfresse oder versuche,
mich umzubringen.
Doch zurück zu meinem Vater. Er hat gesoffen und er sagt,
er habe sich seinen Suff durch Überstunden und Nebenjobs
finanziert. Für mich hieß das, er war entweder in einer
Kneipe oder er war arbeiten und wenn er zu Hause war, war
er meistens betrunken. Und reizbar war er. Mein Bruder,
meine Mutter und ich mußten immer still sein und uns ruhig
verhalten. Wenn ich in dem Altbau auf eine knarrende
Bodendiele trat, bekam ich ein schlechtes Gewissen und wenn
ich dann am quietschen der Bettfedern hörte, das „er“ sich
bewegt hatte, bekam ich Angst. Ich hatte meistens Angst.
Angst ist das bestimmende Gefühl meiner Kindheit, meiner
Jugend.
„Er“ war (und ist heute noch oft) die Bezeichnung
für „Ihn“, meinen Vater. „Er“ ist heute trocken und
fanatisiert in der christlichen Kirche. Alles was er tat,
tat er im Übermaß. Das habe ich geerbt. Am Morgen einen
dünnen Kaffee („Plörre“) zu trinken, ist eine höchst
frustrierende Sache und wenn meine Gefährtin den gebrüht
haben sollte, entzündet sich an der Plörre die Überlegung,
ob sie das absichtlich getan hat oder nur rücksichtslos war
oder ob sie mich vergessen hat, denn meine Gefährtin weiß,
das ich einen ordentlichen Kaffee brauche am Morgen, am
Mittag, am Nachmittag, am Abend. In der Nacht nicht, denn
nachts wälze ich mich schlaflos durchs Bett und werde
aggressiv weil mir sogar das sanfte Atemgeräusch meiner
Gefährtin auf die Nerven geht. Ich bin nicht wegen des
Kaffees schlaflos, das habe ich ausprobiert. Ich weiß
nicht, wieso ich die meisten Nächte mit wenigstens einem
wachen Auge verbringe. Dann gibt es aber doch hin und
wieder Nächte, in denen ich wie der Stein aus dem
Sprichwort schlafe.
Ich mag meine Gefährtin, glaube ich. Denn wenn sie weg ist,
empfinde ich einen größeren Schmerz als wenn andere Leute
weg sind. Wenn sie mir nah ist, empfinde ich einen großen
Schmerz, der allerdings ist kleiner, als anderen Menschen
gegenüber. Deswegen also, weil ihre Ferne mir stärker weht
tut und weil ihre Nähe mir angenehmer, sprich weniger
schmerzhaft und angstbeladen ist, nehme ich an, daß ich sie
mag. In intimen Situationen ist das freilich etwas anders,
aber da fehlt mir der Vergleich, denn ich unterhalte nur zu
ihr einen Kontakt der eng genug ist, daß er sich in intimen
Kontakten äußern kann. Körperlich. Emotional ist eher
weniger los und meine Gefährtin ist sehr geduldig wenn ich
Dinge, die emotionalen Belangen gehören, nicht verstehe.
Vermutlich verstehe ich sie nicht, weil Emotionalität eher
eine Sache des Herzens und des Bauches ist, denn eine des
Kopfes. Insofern kann man Emotionalität nicht verstehen,
sondern man muß sie erfühlen. Ganz so, wie wohl die Inhalte
der meisten Seiten dieses Buches eher erfühlt als
verstanden werden können. Es ist ziemlich wirres Zeug
dabei. Wobei ich in der glücklichen Lage bin, diese Sachen
nur geschrieben zu haben und sie, außer als ich sie ordnete
und druckte, nicht lesen mußte.
Das Fühlen bringt mich zu fehlenden Mitte. Ich kann also
entweder brachial laut und aggressiv sein oder sanft und
nett. Ich kann nicht ein bißchen lauter sein.
Gefühle sind wie eine Schwangerschaft, entweder sind sie
da, und das akut und vollkommen, oder sie sind eben nicht
da, und auch das akut und vollkommen. Eine meiner Fehl-,
Sonder- und Zusatzfunktionen ist „schizoid“ benannt worden.
Das heißt nicht, daß ich rosa Elephanten fliegen sehe oder
meinen Kopf in Alufolie einwickele um mich vor den
Gedankenstrahlen der CIA oder NSA oder der Marsmännchen zu
schützen. Schizoid bedeutet schlichtweg, meine Fähigkeit,
Freude empfinden und ausdrücken zu können ist vermindert
und ich sitze vorzugsweise allein und meistens etwas
traurig, in meiner Wohnung. Natürlich kann ich Witze
erzählen wenn es sein muß. Das muß es freilich nur selten,
weil ich eben nicht so oft unter Menschen gehe und ich
jeden Witz kenne, den ich erzählen könnte. Es hätte also
wenig Sinn, mir diese ollen Kamellen selbst zu erzählen. In
der Tat werde ich wohl als Eigenbrödler enden, als
komischer Kauz mit fahler Haut, der ein bißchen vor sich
hin müffelt und von dem sich die Kinder gruselige
Geschichten erzählen. Andererseits habe ich aber gar nicht
die Absicht, so alt zu werden das ich anfange vor mich hin
zu müffeln. Die Vorstellung, irgendwann in einem Altenheim
zu landen und gewaschen zu werden von jemandem, der meinen
Stuhlgang protokolliert und meinen Enddarm mit zwei oder
drei Finger ausräumt, weil die Peristaltik aufgrund meines
kauzigen Bewegungsmangels nachgelassen hat, ist der Horror
schlechthin.
Seit ich mich dazu äußern kann gibt es im Umgang mit mir
zwei Prinzipien. Das erste heißt:
„Steh mir nicht im Weg“.
Es dient dem Schutz der Anderen, der Umwelt, des
Gegenübers.
Das zweite lautet. „Anfassen is‘ nich‘.“
Und ist Ausdruck meiner Angst und dient dem Schutz meiner
(psychischen) Integrität.
Bei meinem zweiten Klinikaufenthalt wollte der Therapeut
die Gruppe veranlassen, gegenseitig die Handflächen
aneinander zu legen und zu beobachten, was passiert. Als
der Rest der Gruppe jeweils einen Übungspartner gefunden
hatte, blieben eine Frau aus Kroatien und ich übrig. Wir
beide verweigerten die Übung. Irgendwo habe ich gelesen,
das Menschen, die verprügelt wurden eine problematischen
Beziehung zu Händen haben. Wie weit das stimmt, kann ich
nicht sagen weil ich mich an meine Kindheit kaum erinnern
kann. Die Frau aus Kroatien war von ihrem Gatten häufig
verprügelt worden, nebenbei. Hauptsächlich vergewaltigte er
wohl die gemeinsame Tochter.
Derselbe Therapeut versuchte recht eindringlich, mir jene
Möglichkeiten der Klinik ans Herz zu legen, bei denen ich
eine Beziehung zu meinem Fleisch hätte eingehen müssen. Er
war begeistert von sportlichen Aktivitäten wie Schwimmen
(aber das war sowieso unmöglich weil ich offene Wunden an
der Schulter hatte) und therapeutischen Bäder (ich hätte in
der Badehose oder sogar vollkommen nackt vor einen
Mitarbeiter der Klinik treten und mich danach in die Wanne
legen müssen. Ich lege mich nichtmal während der
Therapiestunden bei meiner ambulanten Th. auf die Couch.
Der Gedanke, mich vor jemanden hinzulegen ist mir
unerträglich und verursacht körperliche Reaktionen.)
Wer die Art der Therapeuten kennt, freundlich und bestimmt
mit dem Klienten umzugehen, ahnt bereits, daß ich
schließlich doch nachgab, irgendwie hatte ich den Eindruck,
den Th. kreuzunglücklich zu machen, ihm den Tag zu
versauen, wenn ich stur bliebe. Ich ließ mich zu
Rückenmassagen überreden, nur (!) der Rücken, keinen
Nacken, keine Lendenwirbelsäule. Die waren halbwegs
erträglich und einmal sogar fast beinahe angenehm.
In der Regel verkroch ich mich in meinem Körper wenn die
Massage begann, es fühlte sich an, als stürben meine Arme
ab, sie gehörten dann nicht mehr zu mir, sondern hingen an
mir dran wie Stücke aus Holz oder sowas.
Der Rücken war von mir getrennt durch eine Art
Schutzschicht, durch dicke Borke, um beim Bild des Holzes
zu bleiben. Die Hände der Masseurin drangen nicht zu mir ,
der ich im inneren des Fleisches ängstlich ausharrte,
durch. Berührungen am Nacken kann ich von allen Berührungen
am wenigsten ertragen. Berührungen an Rücken und Gesäß sind
unangenehm aber manchmal aushaltbar.

Wenn ich meine Haut verbrenne, üblicherweise an den
Schultern weil dann die Wunden gut mit einem T-Shirt
verdeckbar sind, dringt die Wärme nach ein paar Sekunden,
nach einer Minute zu mir durch. Das fühlt sich dann so warm
und bergend und mütterlich an, das ich heulen könnte. Ich
achte drauf, Brandblasen zu vermeiden weil die weh tun.
Th.‘s sehen sowas nicht gern. Meine ambulante Th. wollte
deswegen einen Non-SVV-Non-Suizidvertrag mit mir
abschließen weil ihr der eine gewisse Sicherheit gibt, denn
sie läßt sich auch emotional auf ihre Klienten ein.
Zusätzlich, sagt das Gerücht, gibt ihr ein solcher Vertrag
auch Sicherheit gegenüber der Staatsanwaltschaft, sollte
ich mich trotz aller Bemühungen dazu entschließen, meinen
Todeszeitpunkt selbst zu bestimmen. Suizid ist ein
schwieriges Thema in Therapien. Ich bin der Ansicht, daß
ich das Recht habe, über mein Leben zu bestimmen,
Therapeuten sehen im Suizidwunsch häufig etwas krankhaftes
und behandlungsbedürftiges. Vielleicht ist das Ganze aber
auch eine riesiger Irrtum und der Tod ist mitnichten Teil
des Lebens.
In meinen Augen ist es schlicht abartig, jemandem das
Sterben zu verweigern oder ihm einzureden, er dürfe nicht
sterben wenn er das wolle weil sowas krank sei. Solange
Suizidankündigen einzig als Hilferuf angesehen werden, muß
man eben den Mund halten und sich in aller Stille
suizidieren um die vermeintlichen Retter vor sich selbst zu
schützen. Was natürlich ein Hemmnis in Therapien darstellt,
weil dieses Thema dann ausgeklammert werden muß. Der Klient
wird zur Lüge gezwungen.
Zu den Selbstverletzungen äußerte Th. sich in der folgenden
Weise: „Es ist ein Weg, aber kein guter.“
Genau. Kein guter Weg, aber ein gangbarer.

Auf den folgenden Seiten geht es um Depressivität,
Selbstverletzungen und Angst, um Beziehungsstörungen,
Verwirrung, Verlorenheit und Einsamkeit, um Todessehnsucht,
um den Freitod als wählbare Option.
Das alles aus meiner Sicht, beweint von meiner Gefährtin,
die seit sieben Jahren aus mir unverständlichen Gründen an
meiner Seite ist.
Dieses Buch richtet sich also an Betroffene (ein
fürchterliches Wort, weil es nach Ohnmacht klingt),
Angehörige und professionelle Helfer.

Über mich
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Zur Gesellschaft habe ich hauptsächlich einen dicken Kater,
einen ringsherum bepelzten Schmusemagen, immer bereit, sich
streicheln und kämmen zu lassen. Und ich habe häufig
Kontakt zu meiner Gefährtin, die mittlerweile eine eigene
Wohnung bewohnt.
Ich habe begonnen, in ein Tagebuch zu schreiben, weil ich
die Hoffnung hege, daß das Schreiben sich beruhigend oder
ordnend auf mein Innenleben auswirken wird. Meistens drucke
ich die Aufzeichnungen aus und gebe sie meiner Therapeutin,
weil ich über viele Dinge nicht reden kann. Mir fehlen die
Worte und die Fähigkeit, Gefühle voneinander zu
unterscheiden. Ich weiß nicht, ob es Müdigkeit ist oder der
Beginn einer depressiven Phase, ob ich Angst habe oder ob
mein Kreislauf spinnt usw. Tatsächlich sitze ich oft
während meiner fünfzig Minuten in diesem Korbsessel mit dem
blauen Kissen und stammele und kein Thema lebt länger als
zwei, drei Sätze lang. Seit Jahren bin ich auf der Suche
nach den Ursachen meiner Fehl-, Sonder- und
Zusatzfunktionen, nach etwas Handfestem wie einer
Vergewaltigung oder schlimmsten Mißhandlungen oder sowas.
Aber da ist nichts das ich erinnere. Die einzige Konstante
in meiner Kinderzeit scheint die Angst gewesen zu sein.
Angst ist das Gefühl, welches ich erinnere. Sie war immer
da, außer wenn ich schlief, nachdem ich einen gott oder
sonst jedes höhere Wesen das mir einfiel, darum gebeten
habe, sterben zu dürfen. Der Himmel jedoch ist leer und die
Hölle ebenso.
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meine gefährtin hat dieses vorwort aus sieben
unterschiedlichen entwürfen ausgesucht. ich bin mit manchen
formulierungen nicht so ganz einverstanden, aber meine
gefährtin sagte, ich solle nicht mehr daran herumfeilen
weil es dann niemals fertig werden würde, außerdem, sagt
sie, liest es sich gut.
manchmal muß man mich an die hand nehmen.




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