/me
die vollkommene stille - entwurf
meiner gefährtin
Prolog
--------
Der eisige Wind hat den Himmel zerrissen und meine Tränen
gefrieren lassen. Doch mir ist nicht kalt, denn
die Traurigkeit hält mich gefangen wie der Uterus einer
Sterbenden. Von ihren welken Lippen trank ich oft
eifersüchtig den süßen Geschmack fremder Tode. Ich konnte
einst durch ihre feurigen Sternenaugen die Wunder der
Ewigkeit sehen, geschmiegt an ihren weichen Leib durfte ich
von unserer Vermählung träumen, während öliges Leben aus
meinen Wunden tropfte. Ich erkannte sie in bleichen
Gesichtern, in toten Augenpaaren, im schleppenden Gang
verlassener, einsamer Menschen; in meinem Spiegel. Sie
lächelte mir im Widerschein des Rasiermessers zu. Wir
verstanden uns ohne Worte.
Und so hatte ich meinen Weg gewählt, durch verschneite
Felder und Wiesen. Mitten durch die leichentuchblasse Welt
meiner Träume.
Die vollkommene Stille
------------------------------
Die Stille fiel in dicken Flocken vom Himmel und verbarg
schamhaft, ihre durch meine Schritte verletzte
Jungfräulichkeit. Mein Atem ging schwer. Die kleinen
Dampfwolken die ich ausstieß wurden sofort von der kalten
Luft aufgenommen, wie auch ich durch den Schnee auf meiner
Kleidung schnell in das Landschaftsbild integriert wurde.
Ich ging stur geradeaus, ein gefrorener Teich weigerte
sich, meiner Bitte nachzugeben, stacheldrahtbewehrte
Ausgrenzungen verletzten meine blaugefrorene Haut. Die
Finger spürte ich schon lange nicht mehr und auch meine
Füße hatten jegliches Gefühl verloren, seit der Winter sich
durch die Stahlkappen meiner Stiefel gefressen hatte.
Der Geruch von verwesendem Leben hing in der Luft. Ein paar
Rabenvögel hackten mit ihren Schnäbeln kleine Brocken
Fleisch aus dem noch dampfenden Leib eines Wildtieres.
Einer flog mit einem Augapfel im Schnabel davon. Im
vorübergehen starrte die leere Augenhöhle mir traurig
hinterher.
Jäger kamen mit ihren Hunden und machten den Vögeln das
tote Tier streitig. Mich beachteten sie nicht. Ich lebte.
An einem Hang sah ich Kinder spielen. Wie fröhlich sie
waren und wie unerfahren. Das Leben hatte auf ihren
Körpern/in ihren Gesichtern noch keine Spuren hinterlassen.
Wie lange würden sie wohl so ungetrübt im Schnee spielen
dürfen, bevor ihre Mütter sie mahnten, mit ihnen nach Hause
zu kommen weil es doch so kalt sei im Winter. „Deine Lippen
sind schon ganz blau.“
Ich hatte keine Lippen mehr. Mir war mein Mund genommen
worden als ich noch unerfahren war.
Älter geworden, begann ich, Ersatzmünder in meine Arme zu
schneiden. Leider wuchsen ihre Lippen zusammen und so
bewahrten sie das schmerzliche Geheimnis. Bis heute.
Immer tiefer drang ich in die unberührte Landschaft ein und
die Sonne, reflektiert von der weißen Fläche, blendete
meine Augen. Orientierungslos brachen meine tauben Füße
durch das erstarrte Leben dünner Rinnsale, taumelte mein
Körper gegen bizarre Gebilde aus gefrorener
Teilnahmslosigkeit.
Als der eisige Mond mit seinem weißen reinen Licht die
Finsternis meiner Winternacht erhellte, war der von meinem
Körper verursachte Schatten der einzige Makel in dieser
ehrfurchtgebietenden Vollkommenheit.
So vergrub ich mein Fleisch unter den glitzernden Spiegeln
aus Schnee und ließ es dort zurück, um meinen Weg befreit
von seiner Last fortzusetzen. Getragen von kristallenen
Flügeln verließ ich die lichtlosen Abgründe der physischen
Existenz und stürmte empor zu dem Raum zwischen den
Sternen. Ich tauchte ein in die vollkommene Stille deiner
ozeanblauen Augen.
Epilog
---------
Mit jeder deiner Tränen verlierst du ein Stück der
Erinnerung von mir. Weine nicht, wenn sie meinen Körper im
Frühjahr finden werden, wenn die Rabenvögel kleine Brocken
Fleisch aus ihm heraushacken. Ich bin noch immer bei dir,
in deinen blauen Augen, deinem sanften Blick und in deinen
Gedanken, wenn du einmal hinausgehen wirst um die
vollkommene Stille zu finden. Dann werde ich bei dir sein
unddich hinauftragen zu dem Raum zwischen den Sternen und
gemeinsam werden wir ewig sein.
***