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klinikaufzeichnungen, 3
16.01.03, 6:00 h
Mir träumte irgendwas unangenehmes.
16:30 h
In der Interaktionellen Gruppe fühlte ich mich plötzlich
ganz seltsam, mein Herz klopfte, als wolle es den Brustkorb
sprengen, ich konnte mich kaum bewegen und der ganze Körper
kribbelte als würden Ameisen unter seiner Haut um die Wette
laufen und der Tinnitus war wieder da. Woher das wohl kam?
23:35 h
Mein schwuler Verehrer fand es am Nachmittag witzig, mir
auf die Schulter zu tippen. Ich hatte ihm bereits gesagt,
daß ich nicht angefaßt werden wolle.
*„Angefaßt?! Ich habe dir nur auf die Schulter G-E-T-I-P-P-
T, das war nicht angefaßt!“*
Auf dem Weg in mein Zimmer spürte ich den Druck seiner
Hand, ich mußte es abwaschen, duschen, mich reinigen. Oder
durchdrehen oder sterben.
Sogar Stunden später, ich war inzwischen Billard spielen
gewesen, spüre ich das Gewicht seiner Finger an meinem
Fleisch kleben wie alten Schweiß. *schreit*
Th. sagte daß, wenn man sich in Gefühle und Empfindungen
eines Anderen gut hineinversetzen könne, die Geschichte des
Anderen Parallelen zur eigenen Geschichte aufwiese. Diesen
Gedanken möchte ich nicht zu Ende denken.
17.01., 13:24 h, Danzig
Folgende Verabredungen wurden mit Th. getroffen :
- bei Bedarf kann ich auch am Wochenende an den Sandsack
- Verletzungen kann ich selbst versorgen („Es kann aber
sein, daß die Schwestern einen Blick darauf werfen
möchten...“)
Meine „alte“ Th. ließ Grüße bestellen. (wieso erinnert sie
sich an mich?!)
14:45 h, Danzig
War gerade im Dorf und auf dem Rückweg zur Klinik wurde mir
_bewußt_ welche Bedeutung und welches Ausmaß der Satz von
Th. (ich hatte aufgrund der körperlichen symptomatik einen
gaaaaaanz leisen, unglaublich vagen verdacht in richtung
sexueller übergriffe geäußert): *„Das würde passen. Täter
suchen sich ihre Opfer oft in einem solchen Umfeld.“*,
überhaupt hat. Ich hatte das Gefühl, zusammenbrechen zu
müssen. Sowas macht mich fertig.
Samstag, 18.01., 7:00 h, The 69 Eyes
Ich erwachte schon mit dem Gedanken ans Schneiden.
11:45 h The 69 Eyes
Ich habe am Sandsack Abgrenzungsübungen durchgeführt,
meinen Vater verprügelt weil er vielleicht der Grund dafür
ist, daß ich mir die Arme aufschneide. Ich verprügelte
meinen schwulen Verehrer weil ich noch immer seine Hand auf
meiner Schulter spüre. Ich habe den überlauten
Minderwertigkeitskomples verprügelt ( das gruppenmitglied,
welches nicht nur mein billardspiel stört, sondern mir auch
sonst immer auf die nerven geht mit seinem
selbstdarstellungsdrang) und ich habe eine O auf abstand
gehalten die mir mit ihrer art oft zu nahe kommt.
Schneiden möchte ich jetzt nicht mehr, mir fehlt schlicht
die Kraft dazu.
22:45 h
Der Tag war insgesamt gesehen wenig erfreulich, auch wenn
er einen erfreulichen Abschluß hatte der darin bestand, daß
ich beim TRIVIAL PURSUIT-spielen grandios verlor. Im Moment
würde ich gern ein wenig schneiden, so zum entlasten.
Jedoch habe ich noch immer kein Verbandmaterial gekauft.
Ich bin weder traurig noch sonst irgendwie schlecht drauf.
Ich freue mich auf die Schnitte, so, wie einer sich freuen
mag der nach langer Reise endlich zu Hause ankommt.
19.01, 9:30 h, The 69 Eyes
Ich spüre den Drang zur Rasierklinge zu greifen, anzusetzen
und ...
Geht es bei dem ganzen SVV-Gedöns lediglich darum,
wahrgenomen zu werden? Um den unauflöslichen Widerstreit
zwischen dem Bedürfnis nach Nähe und dem Bedürfnis nach
Distanz, Sicherheit. Es scheint, als könne ich die Nähe die
ich brauche nicht zulassen.
Weil Nähe verletzen kann? Weil Nähe verletzen _muß_? Weil
sie es immer tat? Und [name meiner gefährtin] war der
einzige Mensch, dessen Nähe nicht verletzend war?
10:45 h, Nirvana
Der Drang zu schneiden ist vorüber. Es sind eben zwei
Welten. Die eine ist Nähe, die andere ist Sicherheit.
22:35 h
Wieder ein Tag vorüber. Ein Leben kann quälend lang dauern.
[name meiner gefährtin] geht es nicht gut. Ich würde gern
nach Hause fahren um sie zu trösten. Mir wurde durch das
Telephonat klar, daß „die Welt da draußen“ nach wie vor
grausam ist, daß sich nichts ändern wird und mein einziger
Ausweg im Suizid besteht. Denn nichts ist wichtig, außer,
nicht unglücklich zu sein, oder traurig oder sich durch
eine Zeit, eine Sache zu quälen die ohnehin vergänglich ist
und die selbst ohne Belang ist.