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2004-09-01 18:40:20 (UTC)

kommentare?

Aus der Welt
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Ole hatte Schmerzen, seit Jahren schon. Eine Traurigkeit
die das Fundament seines Lebens zu sein schien.
Ole sah die Dinge nicht wie andere sie sehen. Ole sah sie
immer eine Spur dunkler und Dunkelheit hatte die
Eigenschaft, sich zu summieren, sie wich nicht, wie Licht,
sie trat höchstens in den Hintergrund, so daß alles im
Vordergrund befindliche tausendmal heller wirkte als es
tatsächlich war und Ole die Augen schließen mußte, weil die
Helligkeit ihm weh tat. Ole folgerte, Helligkeit sei
schlecht für ihn und deshalb zog er immer tiefer in die
Dunkelheit hinein, wie in eine Höhle. Er trank schwarzes,
bitteres Wasser, dachte schwarze, bittere Gedanken, zu
leben wurde ihm vergällt. Er hatte natürlich, wie jeder
andere auch, Angst vor der Dunkelheit weil sich in der
Schwärze Gefahren und Bedrohungen versteckten, doch vor dem
Licht fürchtete er sich noch viel mehr, denn er hatte ja
erfahren, wie schlimm entzündete Augen sind, wie die
Lichtstrahlen sich, kleinen Speeren gleich, durch die Augen
in sein Hirn bohrten und dieser Gefühl ihn fast in den
Wahnsinn getrieben hat. Lieber blieb er im Dunkel
akzeptierte die Bedrohungen, die vielleicht irreal war und
trank weiter bitteres Wasser.
Eine Zeitlang trank er seine Tränen, zehrte er von seinem
eigenen Fleisch und da er einsam war, hörte er keinen
Widerspruch, und weil er keinen Widerspruch hörte dachte
er, Kobolde ernährten sich eben auf diese Weise. Seinen
Tränen würden nie versiegen, nur von seinem Fleisch würde
er irgendwann alles entbehrliche abgeschnitten haben und
was sollte er dann essen? Als er sich einmal nachts, der
kalte Schein des Mondes wurde von dünnen Wolkenschleiern
gemildert, vor der Höhle beim pflücken schwarzer Beeren
verletzte, sah sein Blut so schwarz aus wie das Wasser das
er trank. Die ganze Welt erschien ihm schwarz, so bot sie
ihm keinen Trost, und wohin sollte er sich auch wenden,
wenn er das gleißende Licht nicht vertragen konnte und ohne
das Licht alles dunkel und fürchterlich war? Hatte es dann
überhaupt einen Sinn, nach draußen zu gehen und schwarze
Beeren zu essen, die Dunkelheit in sich aufzunehmen?
Schließlich brauchte er doch kein Licht, in seiner kleinen
Höhlenwelt hatte er sich eingerichtet und konnte sogar mit
geschlossenen Augen alles finden, wonach er suchte, er
brauchte keine Wärme weil er sich an die Kühle gewöhnt
hatte. Sein Leben war vollkommen auf die Dunkelheit
abgestellt, die erst in seinem Innern war und irgendwann so
stark aufquoll, daß er sie ins Draußen erbrechen mußte um
nicht zu platzen.
Vor langer Zeit, es fiel ihm schwer sich zu erinnern,
sehnte er sich nach den Menschen, als er jedoch immer
wieder feststellte, daß die ihn nicht verstanden und jedes
Gespräch zu einer Enttäuschung geriet nach der er sich noch
einsamer fühlte, beschloß er, die Menschen zu vergessen.
Auch das tat weh, aber Schmerzen, das wußte er genau, gehen
vorüber. Ole hatte versucht, mit den Menschen zu
kommunizieren, hatte Gedichte vorgetragen, hatte getanzt
und Leider gesungen, jeder konnte sie hören und niemand
verstand. Sie sahen den Tanz, hörten die Melodie,
sagte „Ach wie traurig“ und gingen weg. Niemand sprach mir
ihm, niemand stellte die richtigen Fragen dabei hätte er
reden wollen und ihm wären bestimmt Antworten eingefallen.
Doch so blieb ihm nur, sich vor der enttäuschenden,
hilflosen Welt und damit vor weiteren Schmerzen in seine
Höhle zu flüchten.
Deshalb sah niemand, wie Ole sich mehr und mehr auflöste,
durchsichtiger wurde bis er eines Tages verschwunden war.
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nutzloser Sieg
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Ole war fast sein ganzes Leben lang unglücklich gewesen. Es
wurde Zeit, eine andere Zukunft anzugehen. Irgendwas zu
tun, daß ihm Freude bereitete. Dabei war er nicht allzu
anspruchsvoll, er wußte auch gar nicht so richtig, woran er
Freude haben würde. Er mußte also, bevor er glücklich sein
konnte, lernen, glücklich zu werden, erfahren, wie Glück
sich anfühlte, daß es nicht bedrohlich ist, obwohl es
mächtig sein konnte wie seine Traurigkeit. Nahm er an.
Wissen konnte er das nicht. Er mußte lernen.
Wie fühlt es sich an, glücklich zu sein? Er sah sich um und
dachte nach. Er sah seine Katze, schwarz-weiß, immer
hungrig. Ob sie glücklich war? Sie schnurrte, wenn er ihr
zu essen gab, Ist Glück also etwas eßbares.
Aber nein. Er hatte ja Eßanfälle während denen er den
Kühlschrank leerfutterte und hinterher fühlte er sich
ekelig vollgefressen und fett. Glück war nicht eßbar.
Vielleicht konnte man es trinken? Er hatte seine Katze
Milch trinken sehen, das bereitete ihr Vergnügen. Aber auch
Durchfälle. Durchfälle waren schädlich für Katzen. Nichts
zu essen, nichts zu trinken. War das Glück? Wenn er nichts
aß und nichts trank? Natürlich hatte er auch das bereits
versucht, um seine Freßanfälle auszugleichen. Und
tatsächlich stellte sich nach zwei, drei Tagen ein Gefühl
ein, als würde er die Schwere der Erde verlassen. Natürlich
tat es auch ein bißchen weh und er bekam schlechte Laune,
aber er fühlte sich gut. Er fühlte sich kräftig und
mächtig, nur die Treppen machten ihm Probleme, als würden
sie mit jedem Tag ohne Essen und ohne Trinken immer steiler
und er immer schwächer. Lag Glück hinter der Schwäche
verborgen? Als Ole klein und schwach war, tat man ihm weh
und danach wurde begann die Traurigkeit. Es war ein
Unglück, klein zu sein, es war ein Unglück, schwach zu
sein. Er wollte nie wieder, daß andere ihm weh taten. Ole
wollte stark sein und groß und gemein, er wollte jedes
Fühlen, jedes Quentchen Mitgefühl vernichten, das in ihm
war. Was zählt schon Glück wenn man Angst haben mußte vor
bösen Männern mit gierigen Augen, großen Händen und nassen,
schmatzenden Lippen.
Jetzt wußte Ole, was Glück sein konnte. Glück war seine
geballte Faust, Glück war, wenn niemand ihm jemals wieder
weh tun konnte. Und so ging Ole los und tötete jeden, der
seinen Weg kreuzte. Erst die Männer, weil die Kinder zeugen
konnte, dann die Frauen, weil die Kinder gebären konnte,
dann die Kinder, weil die schließlich erwachsen werden
konnten. Als Ole jeden getötet hatte, der ihm weh tun
konnte, sah er sich um und er sah, daß die Erde leer war
und darüber wurde Ole so unglücklich, daß er sich selbst
bestrafte. Zuerst schnitt er sich die Augen aus, damit er
die leere Welt nicht länger sehen mußte, dann stach er das
Messer in seine Ohren und wurde taub, weil er die Stille
nicht länger hören wollte. Er brannte seinen Mund mit einem
Stück glühenden Stahles aus, weil er die richtigen Worte
nicht fand, um Oles Traurigkeit anderen verständlich zu
machen, dann hackte er sich die Beine ab, weil sie ihm bei
der Flucht nicht halfen, schließlich sägte er seine Linke
hand ab, weil die ihn nicht verteidigt hatte. Die rechte
Hand aber ließ er unbeschadet, für den Fall, das irgendwer
kommen würde der ihn verstand. Dem wollte Ole seine Hand
entgegenstrecken und sich an ihm festhalten.
***

Selbstbetrug
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Ole war traurig. Für solche Fälle hatte er Medizin. Für
schwere Fälle hatte er stärkere Medizin und für den letzten
Weg hatte er endgültige Lösungen in einer kleinen Kiste
aufbewahrt.
Als der Abend sich in die Luft ergoß und die Nacht mit
ihrer Angst wie geronnene Milch in jede seiner Körperzellen
eingang fand, wurde Ole ganz unruhig. Die geronnene Nacht
pochte von innen gegen die Körperwände, er konnte das nicht
gut aushalten. Er nahm die stärkere Medizin, die aber nur
mäßige Erleichterung brachte. Er dachte deshalb an das
kleine Kistchen, das ganz hinten im Schrank stand. Sein
Inhalt war verschieden für jeden der es öffnete. Für die
einen war es Entsetzen, für andere bloße Spinnerei
und „Komm, das Leben geht doch irgendwie weiter“ , für die,
die ihn liebte, enthielt das Kästchen ein Übermaß Angst und
Traurigkeit. Für ihn aber war es das Billet in eine Welt
ohne Traurigkeit, ohne den Schmerz der Einsamkeit, ohne
trübe Tage, ohne gelähmte Stunden. Für Ole lag in diesem
kleinen Behältnis ein besonderer Schatz, der einen Weg ohne
Wiederkehr wies. Von diesem Schatz wußten nur wenige weil
viele annahmen, er habe ihn in einer Zeit als es ihm besser
ging, weggeworfen. Doch Ole war mißtraute dem Leben und
wußte um seine Gehässigkeit, so daß er das Kistchen nur aus
dem Blickfeld der anderen entfernte. Er belog sie nicht
dadurch, denn für Menschen galt „Aus den Augen –aus dem
Sinn“. Menschen belogen sich oft selbst.
Ole war aber kein Mensch, Ole war ein Kobold, was viele
nicht erkannten.
Ole hatte in seinem Kopf eine geheime Kammer, in der das
Wissen lag das ihm vielleicht eines Tages nützlich sein
konnte. Es war ein grausames und endgültiges Wissen, aber
niemand wußte davon. Bis auf die, die ihn liebte und sogar
sie kannte nur einen kleinen Teil davon. Er hatte den
Eindruck, als würde er dieses Wissen geradezu
herausschreien aber niemand hörte ihm zu, niemand nahm ihn
ernst. Vielleicht weil er schon zu lange schrie oder
vielleicht, weil er die AU0ßenweltsprache nur ungenügend
beherrschte. Einerlei, gerade für solche Fälle lag das
Kistchen sicher hinten im Schrank. Zu finden für jeden, der
nach ihm suchte, dieses Kistchen war ein Teil seines
Lebens, geboren aus seiner Vergangenheit, verhaftet in Oles
Gegenwart und sorgend, für Oles Zukunft. Wenn also jemand
sich für Ole interessierte, interessierte er sich
gleichzeitig auch für das Kistchen. Aber, so sah es aus,
niemand interessierte sich für das, was im Schrank ganz
hinten lag. Jeder sah, was er sehen sollte oder sehen
wollte, jeder ließ sich auf die ihm gemäße Art auf eine
Sache ein.
So kam es, das Ole eines Tages von seinem Körper zurücktrat
und sich in den Hintergrund flüchtete und niemand konnte
ihn sehen. Den Körper ja, kalt du steif und mit blaue
Flecken am Rücken. Ole aber war längst mithilfe des
Kistchens in eine andere Welt übergewechselt und dort
weinte er nur, wenn er die sah, die ihn liebte, weil sie
wußte, was geschehen war. Ole wußte, eines Tages würden sie
wieder vereint sein, wenn sie ein kleines Kästchen finden
würde, hinten im Schrank, hinter seinem noch versteckt,
wenn sie verstehen würde und ihre Zuneigung sie zu ihm
trieb.
***




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